Eine der Geschichten in der Bibel, die mich immer wieder von neuem fasziniert, ist der Schöpfungsbericht. Nicht nur, aber auch, weil diese Texte über Jahrtausende missbraucht wurden, um Frauen klein zu halten, habe ich sie eingehender studiert. Es war eine unglaublich beglückende Entdeckung, sie vor Jahren mit einer Optik, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau postuliert, zu lesen und verstehen. Doch das ist nur ein Aspekt der Schätze, die da verborgen liegen.
Zurzeit begleiten mich zwei Gedanken, die mit dem Verständnis von Leiterschaft zu tun haben. Zunächst fällt auf, dass im paradiesischen Zustand der Mensch sehr wohl Verantwortung übertragen bekommen hat. Die zwei sind quasi als Gärtner und Hirtin eingesetzt, sie sollen für diese Schöpfung gut sorgen und sich um die Belange der Tiere kümmern. Punkt. Die Herrschaft eines Menschen über einen anderen scheint nicht vorgesehen. Nach-paradiesisch hat sich das schlagartig verändert.
Als zweites macht der Text klar, dass jeder Mensch eine innewohnende Fähigkeit besitzt, das Leben zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Menschen tragen die Sehnsucht nach einem guten Leben in sich und möchten das verwirklichen. Dazu brauchen sie Rahmenbedingungen, die ihnen das ermöglichen. Die Psychologie spricht von Selbstwirksamkeit – ich muss erleben können, dass meine Handlungen einen verändernden, positiven Effekt haben, sonst wird’s in meiner Seele dunkel und die Hoffnung stirbt.
Für mich leiten sich daraus zwei Folgerungen ab. Zum einen ist Leiterschaft weit weniger prominent und wichtig und ehrenhaft und erstrebenswert als wir es, auch in christlichen Kreisen, manchmal zelebrieren. Die Tatsache, dass unsere komplexen Lebensverhältnisse Strukturen brauchen, in denen auch Führung geschieht, steht ausser Diskussion. Aber: Der Fakt, dass es sich dabei um eine sehr irdische Lösung handelt, hält mich demütig. Dabei hilft es, mich an dem Bild einer Gärtnerin, die in der Erde gräbt und dabei schmutzig wird oder dem einer Hirtin, deren Herde Geruchsspuren an ihr hinterlässt, zu orientieren.
Auch auf die Ziele meiner Leitungsbemühungen hat der Text einen Einfluss. Wenn jedem Menschen diese Grundfähigkeit, verantwortungsbewusst zu entscheiden und zu handeln innewohnt, muss ich als Leiterin dafür sorgen, dass die Leute um mich herum das auch tun können. Sie brauchen den Freiraum, Strukturen und Zugang zu den notwendigen Mitteln, um gemäss ihren Fähigkeiten Dinge zu bewirken. Hierarchien werden so flachgedrückt. Leitende verabschieden sich vom Top-Down-Chefsessel mitten ins Getümmel hinein, nah an den Menschen, um unterstützend und befähigend mitzutragen. Utopie? Ein wenig, ja, ich geb es zu. Aber so manches im angebrochenen Reich Gottes wirkt heute noch utopisch. Wir sollten uns aber besser darauf einstellen – da liegt nämlich die Zukunft.
Sabine Fürbringer